12.06.1998 Einmal mußt du nach Biel - Hans Borgmann
... dieses ist ein Buchtitel von dem unter Läufern bekannten Autor Werner Sonntag, selbst ein Ultraläufer.
Nachdem wir im Lauftreff Wickede 1983 unseren Marathon als Gruppenlauf absolviert hatten und sechs Wochen später beim Hoechst-Marathon in Frankfurt schon Zeiten um 3:10 Std. gelaufen wurden, setzten sich Läufer das Ziel 1984 den 100km-Lauf in Unna mitzumachen, der abends um 20 Uhr gestartet wurde und durch den Kreis Unna führte. Beim ersten Mal blieben gleich 6 Läufer unter 10 Stunden. Es folgte noch ein 100er in Unna, anschließend wurde der Rundkurs wegen der immer geringeren Beteiligung in der ursprünglichen Form icht mehr durchgeführt. Ein knallhartes Training brachte eine enorme Leistungssteigerung. Toni Dell, unser Lauftreffleiter brauchte 8:00:30 Std., auch steigerte ich mich auf gute 8:41 Std., zwei weitere Wickeder bleiben auch unter 9 Stunden. Aber jetzt wollten wir doch einmal nach Biel. Für mich wurden es 10 Teilnahmen mit guten Ergebnissen. 4 mal unter 9 Stunden, 5 mal unter 10 lediglich der letzte 10:13 Std., da ein Trauerfall in der Familie diese Woche stark beeinflusste.
Ich möchte Euch meine Eindrücke und Gedanken die ich bei dieser wunderbaren Veranstaltung gesammelt habe schildern.
Die Strecke wurde während der 10 Jahre immer wieder geändert, sie war auch schon mal 102 km lang. Mit dem 40. Lauf wurde mit der eigentlichen Tradition gebrochen und es entstanden die Bieler Lauftage mit Inlinern, Marathon und Miniläufen. Der Lauf war im Ursprung ein Militärwettkampf, 1958 wurde an der Theke gewettet, ob man wohl 100 Kilometer am Stück laufen könne. So machten sich ein Offizier und 10 Soldaten auf den Weg. Die Zahl der Teilnehmer stieg in den Jahren auf mittlerweile fast 4000 "Verrückte".
Am Nachmittag treffen die meisten Läufer in Biel ein, oftmals gab es bei Horst und Margarete im Wohnmobil schon Kaffee und Kuchen. Ich nutzte aber auch oft die Gelegenheit mir die schöne Altstadt anzuschauen oder eine kleine Wanderung in der nahen Taubenschlucht zu machen. Nach dem Pastaessen bereitete man sich langsam auf den Lauf vor, die Eissporthalle roch nach allen Einreibemitteln, die es nur gibt.
22
Uhr: der Startschuß! Die Läufer setzen sich in Bewegung, oftmals
behinderten die Marschierer die Läufer, vorbei an der Rolex Uhrenfabrik
geht es in die Stadt, wo Tausende Zuschauer begeistert uns begleiten.
Dann die erste Steigung von 150 Meter, anschließend über Feldwege nach
Aarberg, einer der Höhepunkte. Über eine alte Holzbrücke durch ein
Spalier von Zuschauern erreicht man den historischen Dorfplatz mit
Musikkapellen und einer großen Verpflegungsstation. Kaum hat man den
Ort verlassen wird es still und dunkel und nun geht es kilometerlang
über einen Faldweg am Wald entlang bis km 38.5 - einem Punkt zum
Aussteigen - anschließend die Marathonzeitnahme. Jetzt geht das Rechnen
los, was es wohl für eine Endzeit geben könnte. Bald ist nach einigen
Steigungen in Jegensdorf km 50 erreicht. Obwohl es schon fast 3 Uhr
morgens ist, klatschen die Zuschauer unentwegt Beifall und ab jetzt
geht es kilometermäßig nur noch bergab. Es wird immer stiller, nur das
Surren der Fahrräder und das oft laute Atmen der Läufer unterbricht die
Stille. Jetzt hört man schon dass km 68 in Kirchberg näher kommt, dem
zweiten Zeilstück. Endlich gibt es heiße Brühe, denn es ist kalt
geworden, Nur nicht lange aufhalten, sonst klappt es nicht unter 10
Stunden. Ordner trennen die Läufer und die Fahrräder, denn nun geht es
auf den Ho-Chi-Min-Pfad - ein 10km langer zum Teil matschiger, mit
Wurzeln und Steinen beschaffener Weg. Hier kommt jetzt die Taschenlampe
zum Einsatz, denn die Läufer, im 10-Stunden-Bereich laufen noch im zum
Teil stockfinstren Wald. Das Rauschen der Emme und der Morgengesang
einiger Singvögel unterbrechen die Stille. Bald ist der Bahnhof von
Lütterkofen erreicht. "Bitte lächeln", oft steht hier ein Fotograf. Das
Lächeln vergeht aber schnell, den jetzt geht es 12km nur bergauf. Die
aufgehende Sonne über dem Nebel im Tal läßt einen die Mühen ertragen.
Der frische Brötchenduft aus der Bäckerei macht Hunger, nur nicht dran
denken. Die Kirchturmuhr schlägt 6, in den Ställen klappern die
Melkmaschinen und bald sind die letzten Höhenmeter geschafft. In einer
scharfen Haarnadelkurve in Gossliwil kann man Verpflegung aufnehmen
oder sich von netten Sanis massieren lassen. Durch den Wald ist Arch
erreicht, jetzt tut es weh! Über 2 km geht es hinunter nach Arch, das
Verkehrsschild zeigt 15% Gefälle. Die Aare wird überquert und es geht
die letzten 10km durch die Felder. Aus der Ferne hört man immer wieder
Gewehrfeuer der übenden Soldaten auf den Schießständen. Plötzlich der
Lautsprecher des Eisstadions, ein Block auf die Uhr: "Toll, du schaffst
es noch unter 10 Stunden!". Die aufgestellte Tafel zeigt die Zahl 99,
noch ein Bogen und das Ziel ist erreicht.
Ein freundliches Lächeln für das Zielfoto.
Meiner Frau kullern ein paar Tränen, sie ist fruoh mich gesund und glücklich in die Arme zu nehmen.
Ein paar Becher Ovomaltine und dann unter die Dusch. Ich wusste nie, dass Heruntergehen der Treppe so weh tun kann.
Es ist Samstagmorgen, meine Frau hat - wie so oft in Biel - ihren Geburtstag. Wir setzen uns in den Kofferraum unseres Kombis und trinken ein Glas Sekt "Auf Dein Wohl, Elke!". Meistens ging es für uns anschließend in den (wohlverdienten) Urlaub.
Hans Borgmann