28.9.2003 Brandenkopfberglauf Berglauf-WM - Arnold Pankratow

 

Irgendwann habe ich meine „Neigung“ zum Berglauf beim Bittermark-Training entdeckt. Am Anfang meiner „Laufkarriere“ beim LTB wollte ich nur den Berg irgendwie schaffen - und dann wollte ich ihn immer schneller schaffen (aber immer im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten).

Als ich vor einem Jahr zufällig von der Berglaufweltmeisterschaft erfahren habe, war klar: Die Teilnahme wäre eine Herausforderung. Um teilnehmen zu können, brauchte man einen Startpass vom Deutschen Leichtathletikverband. Dieser kann nur von einem e. V. beantragt werden. Da der LTB glücklicherweise ein eingetragener Verein ist, war das nur eine Formsache.

Immer wieder musste ich daran denken: 10 km nur bergauf mit einer Höhendifferenz von über 700 m!!!
Aber vorstellen konnte ich mir so eine Laufstrecke natürlich nicht, denn wir haben ja nur unseren Dienstagsberg am Augustinum.

Mehrere Lauffreunde habe ich angesprochen und um Teilnahme gebeten. Bärbel hat sofort zugesagt. Am Donnerstag bin ich also mit dem Wohnmobil bei schönstem Wetter Richtung Schwarzwald gefahren; ich wurde immer kribbeliger.

Ca. 3 km vom Weltmeisterschaftszentrum (in einem kleinen Vorort der 8000-Seelen-Stadt Zell -Unterharmersbach) entfernt, habe ich einen schönen Stellplatz mit Stromversorgung gefunden. Zum Glück hatte ich mein Mountain-Bike dabei und konnte so immer überall hinfahren. Ein englischer Laufkollege fuhr etwas ziellos mit seinem Motorhome umher. Ich dirigierte ihn zu „meinem“ Stromkasten. Er war mit seiner Frau unterwegs „for the race“. (Ich kann fast kein Englisch). Er verstand mich nicht, ich verstand ihn nicht: aber wir haben uns sofort gut „verstanden“.

Ich holte mein Mountainbike vom Heckträger und versuchte Ihm klar zu machen, dass ich morgen damit den Berg hoch will. Ich deutete seine Geste so, dass er mitkommen wolle. Auf der Fahrt zum WM-Zentrum (Schwarzwaldhalle) trafen wir Bärbel und ihren Mann Werner. Mir fiel ein Stein vom Herzen, eine Bittermärkerin zu sehen. Bärbel sagte, dass sie den geführten Testlauf am Mittwoch am Limit gelaufen sei: 1:48 Stunden. Ben sagte zu der Zeit: no Problem with the Bike! Ich konnte ja nicht ahnen, dass er ein Weltklassebergläufer ist, der mit 56 Jahren dieses Rennen unter 50 Min. laufen kann. Wir begaben uns auf die Strecke und beim 2. Anstieg musste ich das Mountainbike bereits schieben. 24 Gänge, und ich muss das Mountainbike schieben (wieso heißt das eigentlich Mountainbike, wenn man das Ding am Berg schieben muss?). Kurz und gut: wir beide brauchten durch meine Schiebeattacken fast zweieinhalb Stunden bis zum Ziel. Völlig durchgeschwitzt dachte ich nur: Morgen kommt der Hammer, wenn ich hier hochlaufen mußt. Ben deutete an, dass seine Frau mit dem Essen wartet.“ Okeeh“ sagte ich, es geht ja nur noch bergab. Das war ja schlimmer als bergauf. Sehnenschmerzen an beiden Handgelenken und an den Unterarmen. Blase an der linken Hand: über 30 Minuten nur Dauerbremsen, das war zuviel!  Dieser 10 km - Berg verfolgte mich minütlich, war es Respekt oder Angst?

Ich brauchte Ablenkung. Am Freitag um 19 Uhr radelten wir auf ebener Strecke zur Eröffnungsfeier der WM in der Schwarzwaldhalle. Vor der Halle war eine große Bühne im Startbereich aufgebaut. Vor einem Riesen-Publikum marschierte eine eindrucksvolle Musikkapelle, eine Trachtengruppe und die Historische Bürgerwehr auf. Durch den Präsidenten der World Mountain Running Association, Danny Hughes, wurde die WM offiziell sehr feierlich eröffnet. Nun gingen wir in die überaus festlich geschmückte Schwarzwaldhalle zur Pasta Party. Ohne Wartezeiten konnten wir zwischen vier wunderbaren Nudelgerichten auswählen. Das Essen war absolut restaurantmäßig. Es schien in dieser Welt nur freundliche, liebenswerte Menschen zu geben. Was hier Ehrenamtliche auf die Beine gestellt hatten, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Irgendwie war hier jeder im Vorfeld schon ein Weltmeister. Als ich einigen sagte, dass ich zum ersten Mal so einen Berglauf mache, dachten sie, ich will sie veräppeln. „Ach ja, sagte ein Österreicher, in Dortmund gibt es ja solche Berge nicht“. Alle Läufer, aus Mexiko, Neuseeland, Schottland, Italien, Tschechien, Polen, USA, Australien usw. usw. kamen aus den Bergregionen ihrer Heimat. Marathonläufer habe ich nicht getroffen. Meinen gelben Championchip kannten sie auch nicht… Morgen kommt die Stunde der Wahrheit für mich als „Flachlandtiroler“, dachte ich nur.

Entschuldigung! Ich wollte doch über den Lauf schreiben!

Um 13 Uhr war der Start für die erste Gruppe angesagt, dann in 20 Minuten Abständen folgten die weiteren AK-Starts.Um 12.30h folgte die Fahnenparade auf der Startstraße. Kinder trugen die großen Fahnen der vielen teilnehmenden Nationen durch die Menschenmenge in die Festhalle. Dort wurden die Fahnen dekorativ auf der Bühne plaziert.
Kurz vor dem Start wurden die Zuschauer nochmals aufgefordert, den Startbereich freizumachen. Ein für mich sehr bewegender Moment: Aus einer Seitenstraße kamen Kinder mit hunderten weißen Luftballons in den Startbereich. An jedem Ballon war eine Karte mit dem Namen eines Läufers. Auf Kommando wurde diese in den Himmel geschickt. Aus den zurückgeschickten Karten wird eine Verlosung (Reise) stattfinden.

Im so genannten Call-Room direkt am Startbereich wurde der letzte Startcheck gemacht (Kontrolle). Dann war man im Startbereich. Und jetzt wurden die Läufer vorgestellt: Es waren fast nur Weltmeister, Europameister, x-facher Nationalmeister, Weltrekordinhaber über die verschiedensten Distanzen usw. usw.hier am Start. Was werden die bei mir wohl sagen?“ Da ist Arnold vom LTB, der mit der Frauenlaufgruppe“, nein, nein. Ich war froh, dass MICH überhaupt einige hundert Frauen wieder erkannt haben! Da fiel mir etwas ein: Der LTB hat doch auch eine Deutsche Marathonmeisterin hier am Start! Als Bärbel in der Startaufstellung war, bin ich zum Sprecher gegangen und hab ihn dezent auf den LTB und Bärbel hingewiesen: Und siehe da: Der LTB und Bärbel Mandel wurden auf einer Weltmeisterschaft „genannt“. Mit viel Beifall wurde die jeweilige Gruppe losgeschickt. Bärbel war um 13.40h dran.

Ich hatte noch eine lange, lange Zeit. Aber auch für mich galt: Durch den Call-Room in den Startbereich. (vorher hatte ich mich etwas warmgelaufen). Ich stellte mich ganz nach hinten, damit mich keiner überholen konnte. Klaus-Peter hatte mir mehrfach eindringlich gesagt, ich soll nicht zu schnell loslaufen, sonst bekomme ich Probleme an den Steigungen. Ich werde auf ihn hören…..

Startschuss und los. 500m durchs Dorf in die Felder. Schnell zog sich die Gruppe von ca. 170 LäuferInnen auseinander. Ich konnte ohne Mühe dranbleiben. Schnell war der erste und zweite km erreicht. Die Steigungen wurden aber länger. 5km in 33Min. Jetzt war die Hälfte rum, mir ging es gut, Puls 160, ok. Die Steigungen wurden steiler und länger. Ich schaute nach unten, denn ich wollte die Länge des Anstieges gar nicht wissen. Das war gut so. Was ist das? Einige gingen plötzlich! Ich bin doch zum Laufen hier und nicht zum Gehen, sagte ich mir. Und so schob ich mich an einigen Läufern vorbei. Eine Bergläuferin namens Brigitte lieferte sich immer wieder kleine Rennen mit mir. Wir waren etwa gleich stark. Sie sagte, wir könnten es unter 1.30 Std. schaffen. Ich dachte nur an die elend lange Fahrradtour von gestern, wie soll ich jetzt unter 1.30 laufen. Und Bärbel brauchte ja auch 1.48 beim Testlauf. Es gab 3 Getränkestände mit vielen Zuschauern, die uns namentlich anfeuerten. Als Brigitte mich vor den Zuschauern überholte, rief ich zu meiner Entlastung den Zuschauern zu: „Das ist meine Enkelin“.  Ich konnte gar nicht glauben, dass sie in meiner Alterklasse war, naja Laufen hält jung!
Von der Fahrradtour wusste ich, gleich kommen die mörderischen Anstiege und dann ist es auch nicht mehr weit. Und wieder gingen einige Läufer. Hier lauf ich bei einer Weltmeisterschaft mit, ich will nicht gehen und ich brauchte auch nicht gehen, denn ich habe meinen Grenzbereich noch nicht erreicht. Noch ein extremer Anstieg zum Ziel (300m). Eine riesige Menschenmenge bildete oben einen Zielkanal. Und wie ich eben so bin, habe ich wohl als einziger für die Zuschauer einen schnellen Endspurt hingelegt. Die waren genauso begeistert wie ich. Unglaublich: Die Uhr blieb bei 1.13:28 stehen!

Mein Mountainbike schmeiß´ ich jetzt weg, da lauf ich doch lieber die Berge hoch. Ich habe mir oben noch viele Zieleinläufe angesehen. Fast sämtliche Läufer waren mehr oder weniger am Ende. Ich habe vielleicht nicht ALLES gegeben, aber ich fühlte mich sauwohl und glücklich. Die echten, erfahrenen Bergläufer erreichten Zeiten zwischen: unglaublichen 43 Min. und 2.04 Std. Als ich Bärbel oben sah, und sie sich auch total fit fühlte, wusste ich, wir haben beide alles richtig gemacht. Obwohl wir nicht in einer Gruppe gelaufen waren, sind wir beide 1:13er Zeiten gelaufen.

Abends saßen wir noch schön zusammen bei der grandiosen Siegerehrung. Jedes Mal bekamen die 3 Sieger der jeweiligen AK ihre Nationalflagge mit auf das Siegertreppchen. Immer wieder war es ein besonderes Gefühl, wenn die jeweiligen Nationhymnen gespielt wurden.Ein buntes Programm wurde im Rahmen der Ehrungen geboten. Alle Teilnehmer, Verwandten, Freunde, Besucher waren mehr als zufrieden mit der Durchführung dieser einmaligen Weltmeisterschaft.

Wunderschön und U N V E R G E S SL I C H !!!

Das Alles habe ich dem Lauftreff Bittermark zu verdanken. Ohne Euch hätte ich das niemals erlebt. Danke für Eure Unterstützung , Hilfe, Geduld und Toleranz.
Entschuldigt bitte, dass ich bei unseren Trainingsläufen so oft am Berg einfach immer vorgelaufen bin, aber es war ja für einen „guten Zweck“: Teilnahme an einer unvergesslichen Weltmeisterschaft.

Euer Bergläufer Arnold Pankratow

PS: Und sollte jetzt jemand Lust auf Berge bekommen haben: Die nächste Berglauf-Weltmeisterschaft ist in Italien - See you!