07.11.1998 New York - Marathon - Gabi Streckert
Liebe Bittermärker Lauffreunde und zukünftige New York - Marathonis,
vor fast sieben Jahren waren Max und ich in New York, um dort (wie bald ihr) am
Marathon teilzunehmen. Für mich war es ein großes Glück, weil ich zunächst
nicht mit dem dafür erforderlichen viertägigen Sonderurlaub gerechnet hatte. So
war die Freude doppelt so groß. Den folgenden Artikel habe ich ein paar Tage
nach dem Lauf für unseren Herdecker Sportverein TuS Ende geschrieben. Ich
denke, meine Glücksgefühle von damals kommen zu euch rüber und sorgen für viel
Vorfreude und nach dem Lauf für ähnlich viele Glückshormone wie bei mir.
Wir waren dabei!
Meine Augen sind voller Tränen, denn ich stehe mit mehr als dreißigtausend
Menschen auf dem Startfeld beim New York City Marathon. Für weitere Gänsehaut
sorgt die live gesungene Nationalhymne. Ich bin gerührt und glücklich, hier
laufen zu können, gesund zu sein, dabei zu sein. Neben mir meine Mann, Max. Ich
weiß, ihm geht es genauso. Um mich herum rhythmisch klatschende Gleichgesinnte.
Eine Euphorie so spürbar, als könne man sie anfassen. Vom Startschuss bekommen
Max und ich nichts mit, denn wir stehen am Ende der Läufermasse, weil wir
zusammen laufen wollen. In New York starten Männer und Frauen getrennt
voneinander und treffen erst nach ca. 12 km aufeinander. Wir wollen gemeinsam
ins Ziel laufen, erstmalig, deshalb starten wir auch gemeinsam und müssen nach
hinten zu den Marathonneulingen und anderen Paaren. Nur die Uhr sagt uns:
Jetzt, jetzt geht es los.
Nach ca. 5 Minuten haben wir gehend die Startlinie erreicht. Laufen ist
jedoch auch jetzt noch nicht möglich. Die Masse verhindert es. Nach weiteren
fünf bis zehn Minuten kommen wir langsam in einen Laufrhythmus. Wir laufen von
Staten Island über die Verrazano Bridge nach Brooklyn. Es ist nicht zu glauben,
obwohl erst Minuten nach dem Start vergangen sind, stehen Männer fast wie
Perlen an einer Kette aufgereiht und urinieren über das Brückengeländer.
Komisch, Frauen „müssen“ noch nicht. In Brooklyn beeindrucken mich die
Unterschiede der Zuschauer. Man sieht viele Farbige mit viel Rhythmus im Blut,
ganze Bands, Trommler, Klatscher, Johler. Dann, in Williamsburg, dem
Judenviertel, sieht man verhaltene Freude, lächelnde, überwiegend stille
Gesichter. Doch geklatscht wird auch hier - nur anders.
Bis zum Halbmarathon auf der Pulaski Bridge läuft es sich noch recht
leichtfüßig. Die vielen Zuschauer mit ihren Anfeuerungsrufen lassen einen kaum
an die Belastung denken. Musikgruppen turnen mich jedes Mal an, und mir ist
dann eher nach tanzen zumute. Schwerer fällt dann schon die Queensboro Bridge
(wir sind inzwischen im Stadtteil Queens) bei km 24 bis 26. Mit dem langen
Anstieg und dem löchrigen Metall als Belag unter den Füßen läuft es sich schon
weniger leichtfüßig, um nicht zu sagen beschwerlich.
Max kündigt mir die nun folgende First Avenue an. Eine lange Gerade - so
weit das Auge reicht und länger (es sind etwa 6 bis 7 km) - die uns bis nach
Harlem (Bronx) führt. Jetzt werden die Beine immer müder, doch die Zuschauer in
Mehrfachreihen (dabei viele Angehörige von Mitläufern), wie sie zunächst rechts
und links zu sehen sind, lenken noch ab. Die Straße will kein Ende nehmen und
zu den müden und schmerzenden Beinen kommt noch hinzu, dass immer weniger Zuschauer
zu sehen sind, gegen Ende der Avenue nur noch vereinzelt. Ausgetauschte Blicke
zwischen Max und mir sagen alles. Viel geredet wird nicht, ist auch nicht
nötig, denn aus Erfahrung wissen wir, es geht ans „Eingemachte“.
Endlich, wir sind im Central Park (Manhattan), aber bis zum Ziel sind es
noch etwa 4 km, und zwar hügelige. Gegen Ende eines Marathons sind selbst
kleine Hügel nicht gerade willkommen. Für Ablenkung sorgen aber wieder die
wahnsinnig vielen Zuschauer in Mehrfachreihen, die kreischen, klatschen usw..
Das nahe Ziel lässt trotz der Anstrengung wieder Glücksgefühle keimen. Und
dann, dann ist das Ziel in Sicht! Lachend fassen wir uns an, Hand in Hand, wie
wir uns das vorgenommen haben, laufen wir über die Ziellinie. Das Glücksgefühl
keimt nicht nur - es ist voll da und nicht zu beschreiben. Man kann es nicht
bei Karstadt kaufen - man muss es erleben!
Wir haben es erlebt!
Gabi Streckert