16.12.2001 Vamonos - Rolf Peters

Vamonos!

Ich werde es in Hamburg mal mit Marathon versuchen. Schaff ich das?

Neulich samstags, bei einem Sirenenalarm, fragt mich der Sprössling, warum man die alten Dinger eigentlich noch ausprobiert? Wenn man älter wird, sinniert der Vater, probiert man manches aus, ob es noch geht.

Ich bin jetzt zweiundvierzig. Mit 42 ist Mick Jagger diese monströse 200 Meter-Bühne rauf und runter gewetzt, hampelnd und singend - was man so singen nennt -, it's only Rock'n Roll but I like it, dem ist von meiner Seite nichts hinzuzufügen. Attestiert man dem knöchernen Hering eine solide 200 Meter-Zeit von 30 Sekunden, dann wären das in 2 Konzertstunden 48 Kilometer, na ja, ein paar Balladen sind auch dabei, Time is on my Side, mit 42, das ist ja gelogen, aber immerhin: Marathon.

Beim Midnight Rambler auch noch dieses eigens hergerichtete Türmchen hoch, das fördert ein Quäntchen anaerob laktazide Energiegewinnung, stärkt die Überwindungskraft, aber dann war der windige Zappelphilipp auch schon oben, obendrein umgezogen. Kann ich das nicht auch?

Sportlich bin ich zu einigem fähig. Einmal beeindruckte mich so eine Gymnastik-Animateuse, die liegend bei gestrecktem Bein ihr Füßchen locker in die Finger kriegte. Vielleicht hat die ja nur kurze Beine und meine sind länger. Also runter auf den Küchenboden, die Eier kochen über, aber das halten wir jetzt durch. Ich spür auch schon was. Faustregel ist ja, was weh tut, ist gesund. Umgekehrt gilt dasselbe, ich weiß, wovon ich rede. Seltsam übrigens, dass vieles, was Spaß macht, hinterher sehr weh tut. Alles ziemlich verwickelt.

Also Marathon? Bei den Bittermärkern wird Hamburg angeboten. Das lästige Organisieren nimmt man einem ab, eine erfahrene Hand weist dich ein, Radisson SAS Hotel direkt im Ziel, das werde ich brauchen. Überhaupt - die Zweiundvierzig. Wenn mir diese Kilometer unter den Füßen zerrinnen wie die Jahre, da kann ich gleich 'ne Zigarette rauchen. In Dortmund wird diese Bilanz schon nicht mehr stimmen.

Zuvörderst muss ich noch Zwiesprache halten mit meinem linken Knie, das in der Vergangenheit bereits einige Male der Schonung bedurfte. Jetzt ist es ja sanft gebettet in diese Hose aus dem Nachlass von Freddie Mercury, da geht nichts mehr dazwischen und so laufe ich durch den Wald, die Bäume schert's nicht. Knie, lautet meine Frage, wie sieht es aus - Sein oder Nicht-Sein? Was willst du, meint Knie, ich mache mich auf dem Röntgenschirm doch ganz gut aus. Alles glatt und elastisch, also versuch es - wie es dir gefällt! Und schick siehst du aus in deinem gelben Leibchen. Man sieht: Geduld zahlt sich aus.

Hier, Klaus-Peter, hast du meinen Meldezettel, das wäre doch gelacht; ich komme dann am Mittwoch zum Stammtisch, Knie sagt, ich schaff das. Meine Tischnachbarin weihe ich ein, dass ich womöglich der einzige unter den zwanzig bin, der Marathon zum ersten Mal läuft. Das stimme nicht, erwidert das freche Ding, sie laufe auch zum ersten Mal, das sei überhaupt kein Problem. Für mich schon, denn jetzt bin ich nichts Besonderes mehr.

Überhaupt ist man nicht immer nett zu mir. Fragt mich doch einer, ob das tatsächlich meine Kinder seinen? Aber sicher, Männer haben nur keine Figurprobleme nach einer Schwangerschaft.

So, dann werde ich jetzt mal ordentlich trainieren beim Lauftreff. Da komme ich immer gern hin, allein für den koketten Anblick, den einige Damen da beim Stretchen bieten. Assistenz habe ich jetzt auch, Thomas mit der Wunderlampe und Michael, den baumlangen Kerl aus nichts als Sport. Wenn ich an die rankomme, erleide ich vor lauter Begeisterung gleich wieder einen Formeinbruch.

3 Monate laufen, laufen, laufen. Was werden die Kinder sagen? Freunde, Bekannte - erinnert man sich an mich am 22. April? Die Wohnung wie die Gassen von Neapel, voll klatschnassem Zeug, Eisbeutel verstopfen das Gefrierfach, die Zehen blau. Draußen Regen, Schnee, die Schläfen schmerzen - Schatten in der Dunkelheit, ach du bist das, fühlte sich so komisch an. Sind noch alle da?

Nicht ohne Poesie, die Vorstellung. Um im Idiom zu bleiben: I smell Trouble.

Wenn mir das überhaupt zusteht, möchte ich diesen Laufbrief George Harrison widmen, meinem Lieblings-Beatle. Here comes the Sun, George, du hast uns viel von dir gegeben!

Pit Peters