31.12.2001 Frohes Neues - Rolf Peters
Anfang Dezember war ich noch groß in Form, die ist jetzt gründlich versaut. Also lassen wir die Katze aus dem Sack, so schmeckt die Wahrheit.
Humor lebt vom Überraschungsmoment. Grüßt meine Nichte ihren Cousin mit Fröhliche Weihnachten und die prompte Antwort lautet: Ich weiß.
Das klingt nach stabilen Familienstrukturen, aber der Schein trügt. Papa, komm nach Hause, der Päppi ist doch nur zum Küssen da - Päppi, das ist Mama’s Neuer, so redet Kinderseele, wenn sie bricht und man versteht, wie es um Papa dann bestellt ist. Da hilft auch Laufen, man braucht ein Ziel.
Am 8. Dezember ist Nikolauslauf in Herdecke, 10 km rund um den Hengsteysee; ich laufe in 43:04, ein Quantensprung, schon auf die 5:00 min/km war ich stolz und das zurecht. Trotzdem, Michaela, ein Kompliment kann ich dir vorläufig nicht machen, mehr als dienstags Bittermark habe ich kaum getan, das widerspricht jeder Trainings-Methodik, meine Knochen geben das gar nicht her, das ist Wut. Aber egal, woher die Form kommt, da ist mehr drin.
Zu Weihnachten dann das Dilemma. Sowieso sind es nicht 2 Seelen, die ach in meiner Brust wohnen, nein, das Ich ist vielfach gefaltet und geglättet, der Vergleich mit den Schalen einer Zwiebel kommt der Sache schon näher, auch in mir schläft das Böse.
Los geht's am Samstag vor Heiligabend. Traditionell treffen sich da die alten Kumpels. Fuchs, der Zauberkoch, Bruder Frank, unser Gitarrero, das ist auch so einer, der gibt was von sich, da fragt man, woher es kommt, dieses Jängeln und Jöngeln, an seinem besten Abend steht er auf dem Tresen, lässt das Ding jammern und die Mädels küssen ihm die Füße, also was will er, äh ja, wo war ich, genau - und Jürgen aus Berlin. Dieser Hypochonder lästert über die Zukunft meiner Gelenke, derlei Unartigkeit muss sich der Aspirant wohl gefallen lassen.
Was uns verbindet sind Wein und Gesang, zuverlässige Stützen kollektiven Wohlergehens, und natürlich die gemeinsame Jugend. Mit dem Weib sind wir eigen, allesamt, ich kann jetzt keinen verpfeifen. Gereicht wird Sherry-Ente auf Steinpilz-Crepe a la Creme mit in Rotwein gedünsteten Charlotten, genau so heißt das, wir wollen es so, der Salat ein schillerndes Stilleben aus lauter Grüns, gesprenkelt mit Braun und einer Krone aus Rot, das gibt es auf der ganzen Welt nur bei uns und ich nenne das Kreativität.
Drei Köche verderben eben nicht den Brei, obwohl, Zank gibt es schon, und die Nummer 4, das bin ich, kredenzt den Wein, südafrikanischen Pinotage, um Merlot-Traube bedämpft, die Köche staunen. Mit gutem Wein ist es wie mit der Seele: je nachdem, welche Partie er gerade passiert, offenbaren etliche Schichten ein anderes Gesicht. Dazu Musik von Bach bis Black Crowes, viel jünger nicht mehr, ganz hinten noch Little Blue, wer die kennt, kriegt von mir `nen Fünfer.
Am nächsten Tag laufen. 21 Kilometer. Das jaulend gelbe Leibchen sitzt wie immer, die Hose ist ja elastisch, und wehe nicht. Hopsa macht das Känguru, kein Zweifel, einmal ist keinmal. Sylvesterlauf ich komme, das wird der Griff nach den Sternen, eine Zeit um die 65, da bin ich mir sicher.
Montag ist Heiligabend. Familienabend. Klingt heikel, aber ist es nicht. Noch immer gehöre ich dazu, für Maik und Lina sowieso, Silke ist noch stutzig, doch Päppi und ich verstehen sich, weil grundverschieden. Denn zweitens sind da die Kinder, vieles stützt eine Beziehung, auch so rum. Eifersucht kenne ich, hier ist keine am Platz, das ist die Wahrheit, so sieht sie aus.
Päppi kocht klassisch und gekonnt. Ente und Gans mit raffinierter Füllung, Semmelknödel, Klöße und Kartoffeln, dazu Grünkohl, so habe ich noch nie gefressen, ich kenne mich gar nicht. Der Wein ist von Aldi und jetzt Schnauze, Aldis australischer Chardonnay kann sich mit höher dotierten Artgenossen aller Couleur messen, er kostet sechs neunzig, das ist für Aldi viel. Für mich auch.
Am nächsten Tag laufen. 15 Kilometer. Ich schwitze. Und zwar mehr als sonst. Wovon kommt das denn? Außerdem dieses Sodbrennen, es gurgelt und ätzt aus dem Hals. Ob das stinkt? Eine Zeit um die 67 wäre doch auch nicht schlecht, ich würde mich gegenüber Nikolaus nicht verschlechtern.
Dienstag ist erster Weihnachtstag. Jetzt ist die andere Familie dran, meine alte. Alle Geschwister sind da, alle Enkel, ich erwähnte eingangs die Begrüßungsformel. Bei Peters gibt es seit Alters her an Weihnacht Fondue. Das Beste daran sind Mamas Saucen, die macht ihr keiner nach. Nur die Getränke, da wird es peinlich. Und immer die Tiraden, wo man alles sparen kann, am Wein, pfui Deibel.
Wir setzen noch einen drauf. Jetzt bietet mir nämlich Bruder Frank, der Gitarrero mit dem Teufel im Leib, eine Zigarette an - und ich greife zu. Man nennt das einen Quartalsraucher. Ein tiefer Zug, 5 Minuten Aufschub vor den Erfordernissen des Alltags, 5 Minuten Zuflucht, es soll nicht dabei bleiben. Laufen ist jetzt ganz weit weg.
Aber nicht lange - am nächsten Tag laufen. 12 Kilometer. Das Pfeifen ist deutlich zu hören, irgendeine Verengung in der Rachengegend, wahrscheinlich alles geschwollen. Die Lungenflügel sind bei jedem Atemzug in Umfang und Aufbau deutlich auszumachen, darunter der Magen, er drängelt sich hoch. 67 Minuten, 68 Minuten - Papperlappap, Hauptsache unter 70. Meinetwegen auch drüber. Spotz.
Es nimmt kein Ende. Zweiter Weihnachtstag: Schwiegermutters Geburtstag. Ex-Schwiegermutters. Eine patente Frau, praktizierende Christin, also komme mir jetzt keiner mit dem Wohnmobil. Das Essen ist exzellent, mit dem Wein geht es deutlich bergauf, mit mir immer tiefer.
Richtig - am nächsten Tag laufen. Vielleicht auch Entengang, man weiß es nicht. 7 Kilometer, kann sein, ich spür schon gar nichts mehr, jetzt spinnt auch der Kopf. Sylvesterlauf? Stimmt, da war was.
Dann ist es endlich soweit und längst da, was kommen musste. Der Gaumen dick, die Beine eirig, auf dem stillen Örtchen spricht manches Indiz dafür, dass ich übertrieben habe. Der Körper ist dein bester Trainer, ich bin alt genug, um zu wissen, was jetzt zu unterlassen ist. Schwirrt was rum, ich fang es mir, eine Woche käm`se, eine Woche blieb´se, eine Woche ging`se, macht 3 Wochen Überdruß am Sein. Die Erwartung war groß, der Charakter klein, wahre Größe liegt im Verzicht, jetzt kann ich sie zeigen, indem ich die anderen ziehen lasse.
Also ein letzter Vorsatz: Wir üben uns in Disziplin! Alle sind sie schneller dieses Jahr, Thomas ohne Wunderlampe und Michael, der baumlange Kerl aus nichts als Sport mit 61er-Zeiten. Jörg, letztes Jahr noch mein Rivale, hat sich eine ganze Klasse nach vorn geschoben. Paul imponiert ja eher durch Muskeln, ist aber genauso 4 Minuten flotter. Guido, stolzer Debütant, beweist, daß er auch jenseits des Laufbandes was drauf hat.
Nur ich drossel das Tempo. Fünf Minuten der Kilometer, wie an der Uhr gezogen. Immer wieder zurücknehmen, lass es, dein Körper sieht das morgen anders. Letztes Jahr mussten sie mich fast vom Soester Marktplatz tragen, diesmal trotte ich daher, freue mich der lachenden Gesichter, überlege, was ich am Abend wohl anziehe. Bei Kilometer sieben eine 35:00, kaum Kraft, aber Timing. Präzision bis zur 14, dann der Einbruch - im Ziel 73:58.
Ich kann daraus nur einen Schluss ziehen: Der letzte Kilometer Werl-Soest ist keiner.
Pit Peters