14.11.2001 Wie dem Neu-Bittermärker Pit Peters Beine gemacht wurden - Rolf Peters

Endlich kann ich auch laufen. Ist gar nicht so einfach. Jedenfalls 15 Kilometer am Stück und auch noch um die Wette. Es gab handfeste Gründe, es dennoch zu versuchen.

Angefangen hatte alles vor dem Spiegel. Ich habe mich eigentlich immer recht gerne im Spiegel gesehen. Da war zwar die doofe Brille und die dicke Nase, mit meiner Frisur war zeitlebens noch kein Staat zu machen, aber meine Konturen gefielen mir. Auch im Profil war keine verdächtige Wölbung festzustellen. Das änderte sich, als es auf die 40 zuging.

Auf Omma's Achtzigstem fiel der Warnschuß. Dem Anlaß entsprechend hatte ich mich dazu durchgerungen, dem vor 5 Jahren im Kleiderschrank verschwundenen Anzug, der mich an meinem Hochzeitstag zierte, noch eimal die Ehre zu erweisen. Auch wenn mich darin niemand erkennen würde. Beim Einstieg in die nach meiner Erinnerung doch recht großzügig geschnittene Buntfaltenhose stellten sich unerwartete Schwierigkeiten ein. Konnte es sein, daß diese Dinger über die Jahre einlaufen? Hatte ich damals Ramsch gekauft? Unübersehbar klaffte zwischen Hosenknopf und Knopfloch eine Lücke, die mir vor Jahren gar nicht aufgefallen war. Obendrein mußt ich den Kopf vornüber beugen, um den Abstand überhaupt abschätzen zu können. Es hatte sich ein Wulst davorgeschoben, den mir die Gewohnheit der Jahre als ganz selbstverständlichen Fortsatz meines Bauches vorstellte.

Zum Verständtnis der Gesamtsituation muß hinzugefügt werden, daß Omma's Achtzigster auf das erste Wochenende nach unserem Familienurlaub an den Gestaden der Nordsee fiel. Wie jedes Jahr war ich auch diesmal dem häufigen Verlangen nach Pommes Rot/Weiß und Frikandel Spezial erlegen. Warum auch nicht, das war noch jedes Jahr ohne Folgen geblieben. Diesmal nicht.

Der Schock saß tief. Ich war also ein alter Mann. Fett, verbraucht, verbittert - hatte ich schon eine Rotweinnase? In einer Welt voller Coca Cola-Reklamen würde ich so nichts mehr zu bestellen haben. Der Bauch mußte weg und mit ihm das Gefühl, daß es zu Ende geht.

Zunächst versuchte ich es mit Schwimmen. Schonend für den Körper, stählend für fast jeden Muskel. Leider aber werden die Vergänglichkeitsängste weiter geschürt. Ich teilte das Becken mit lauter Rentnern, die sich mit einer Inbrunst den Schilderungen ihrer altersbedingten Unzulänglichkeiten hingaben, die nur durch vereinzelte Stoßseufzer über die glückliche Zeit überboten wurden, als Deuschland noch marschierte. Hier gehörte ich nicht hin.

Ich versuchte es mit Fahrradfahren. Abgesehen von sporadischen Gewalttätigkeiten gegen mein ungebührlich in der Tiefgarage der KV geparktes Velocipel ließ sich das ganz gut an. Meine Anstrengungen, den angepeilten Kalorienverbrauch zu erreichen, machten mich allerdings zunehmend zur Gefahr für die Menschheit. Deutschland ist für den Fahraradfahrer nicht gebaut, gerade in den Ballungsgebieten verspüren die Menschen den häufigen Wunsch, ungefährdet an der frischen Luft zu flanieren, Tiefflieger werden mit Recht als störend empfunden. Außerdem war eine dem Kalorienspiegel gerecht werdende Route auf regionalem Kartenwerk nicht mehr abzustecken.

In diesem Dilemma fiel mir mein Bruder ein. Obwohl jünger als ich, hatte ihn die Midlife-Crisis beim Anblick beleibter Altersgenossen schon früher übermannt. "Alter, du mußt laufen, das kommt geil!" (In Bürokratendeutsch: Die Indizien lassen es angezeigt erscheinen, einen konstitiuierenden Initiativentwurf zu einer umfassenden, aber schrittweisen Innovationsnovelle zur Disposition zu stellen.) war ihm zum Rezept gegen die Zweifel geworden.

Also laufen. Präzise auf meinem Vierzigsten - halb so alt wie Omma! - kaufte ich mir ein paar Schuhe und versuchte es. Es kam gut. Fünf Kilometer, Sechs Kilometer, bald schaffte ich den halben Harkortsee und bald auch den ganzen. Jetzt mußten neue Ziele her. Der Freund meiner Schwägerin, ein baumlanger Kerl aus nichts als Sport, schlug vor, doch mal einen Wettbewerb zu laufen, und zwar den Sylvesterlauf von Werl nach Soest. Der Vorschlag kam günstig, denn Sylvester war gerade vorbei. Mit anderen irgendwas um die Wette zu machen - ich meine was Körperliches! - dazu wurde ich zum letzten mal im Kindergarten genötigt. Jetzt hatte ich ein Jahr Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden.

Vielleicht würden mir ein paar Leidensgenossen die Sache erleichtern? Im Büro brachte ich das Thema auf die Tagesordnung, und siehe da: Zu meiner Verblüffung habe ich etliche Kollegen, die entweder meine Figursorgen teilen oder gestandene Sportsmänner sind.

Es ist traurig, wie man aneinander vorbeilebt: Sportsmann Nummer 1 sitzt mir seit Jahren vis a vis, es ist mein Kollege Thomas Reinitz. Seine halbe Freizeit bestreitet er mit Training und Wettbewerb im Orientierungslauf, inzwischen hatte es ihm auch der Marathon angetan, im April in Hamburg sollte es soweit sein. Werl - Soest hatte er gerade hinter sich gebracht. Dann war da noch Kollege Stephan Hoevels. Ebenfalls Werl-Soester des Jahres 1999 und auf Marathonkurs, später ist er ihn in Köln dann auch gelaufen, bis heute zweimal.

Ein anderer Fall war Personalratskollege Paul Liesner. Der hatte es eher nötig. Zwar wölbt es sich bei ihm überall, das wirkt natürlich imposant. Aber eine Schlankheitskur, das lag ihm bitter auf der Zunge, konnte nicht schaden. Eine Jahr älter als ich, mag auch er das Bedürfnis verspürt haben, den Motor noch einmal zu spüren, um sicher zu gehen, daß er noch läuft. Außerdem lernte er schnell die geistige Entschlackung zu schätzen, die das Joggen neben Außenministern auch Personalräten gewährt, die im zähen Bürokratenschleim zu ersticken drohen.

Alle waren wir uns einig: Damit man auch ein Ziel vor Augen hat, wollten wir gemeinsam Werl-Soest 2000 laufen. Komplettiert wurde das Team noch durch Jörg Falter aus der Netzadministration, im Herbst 2000 zwar noch ein Anfänger in der Branche, dem die angehende Vaterschaft aber Flügel verlieh, so daß er je Vorweihnachtsmonat ungefähr 10 Kilometer drauflegte.

Am Vorabend des großen Ereignisses fuhren Kollegen Liesner und ich zur Stadthalle Werl, um für alle die Laufchips und die Wettbewerbsnummern zu holen, die sich jeder beim Laufen ans Zeug flicken muß. Vor Ort wurde uns eröffnet, das wir nicht gemeldet seien. Es hatte ein Problem mit der EDV gegeben. (Seinen wir ehrlich und reiten nicht auf dem Vorurteil herum: Es hatte ein Problem mit der Bedienung der EDV gegeben. Einige der nur sporadisch eingearbeiteten, ehrenamtlichen Helfer waren im ersten Anlauf mit den für sie neuen Internet-Anmeldungen nicht klargekommen.) Mit Zettelausfüllen und Schlangestehen wurde das Problem behoben.

Als es dann soweit war, ging alle Aufregung auf in einem rundum gelungenen Sylvestertag. Tolles Wetter, Bombenstimmung und für alle Beteiligten das Erfolgserlebnis, unter seinen spezifischen und persönlichen Vorraussetzungen das Beste gegeben zu haben. Auch wenn uns der gerade im Sport verbreitete und von wirtschaftlichen wie medialen Interessen genährte Mythos von der Nummer Eins verderbliche Selbstzweifel einflößen will, damit wir uns dann mit werbewirksamen Ikonen identifizieren: Nur das zählt!

Rolf "Pit" Peters