30.09.2001 Berlin Marathon  - Arnold Pankratow

Vorspann:
Männlich, 49 Jahre, Ex-Kettenraucher (bis1992), untersetzt, übergewichtig, total unsportlich bis Juli 2000. Durch Bruder zum Laufen motiviert, angefangen im Juli 2000 mit 2 Min. Joggen, 1 Min. gehen (9 x). Im September  Citylauf 5 km, dann 10 km Wettkampf, dann Halbmarathon im Oktober 2000 (Fehlentscheidung: denn es war zu früh, daher 2,5 Std. - Quälerei). Nicht ganz regelmäßig weiterhin trainiert.
Dann kam ein "ZEICHEN": März 2001 Karstadt-Sporthaus Info gelesen (Dein 1. Marathon). Es hat plötzlich "klick" gemacht. "Da müssen wir unbedingt mitmachen", sagte ich meinem Bruder. Gespannt und leicht aufgeregt gingen wir zum 1. Treffen (Karstadt) und lernten auch gleich die anderen "Neulinge" und die Trainer vom Lauftreff Bittermark kennen.Nach dem Treffen war schon klar: Wir schaffen das!

Dann kam das Training. AUWEIA! Ganz schön hart für `nen Freizeitläufer wie mich.Augustinum: Ein steiler Weg, der niemals endet, das kann nicht sein. Puls 170, dranbleiben, die anderen schaffen es doch auch. 20 Min. nur bergauf (jeden Dienstag). Die Gruppe und die Betreuer vom LTB waren einfach große Klasse, die Anstrengungen waren oft schnell vergessen. Dann Trainingslauf über Halbmarathon-Strecke, dann der berüchtigte Ruhrklippenlauf (dank Beates 4. Gruppe war das gut zu schaffen), dann 33 km, dann die einhellige Meinung: jetzt kann Berlin kommen!

Die Stimmung war riesig (einige hatte natürlich mit kleinen Blessuren zu kämpfen).Mit 250 km/h rasten wir gemeinsam nach Berlin ( meine 1. ICE-Fahrt), belegten im 4 Sterne - Hotel unsere Zimmer. Ralf (Karstadt) war unser Super-Reiseleiter. Noch am Freitag zur Messe, Startunterlagen und Chip geholt ("bin ich jetzt schon ein Marathonläufer.."?, fast: nur noch Sonntag die 42 km laufen). Freitagabend: Tolle Nudel-Party im Berlin - Karstadt- Sporthaus (Beköstigung: 5 *****). Samstag: mit Anke und Thomas zur Regierung mit dem Bus: Riesenknall nach 20 m Fahrt direkt unter uns im Bus, das Fahrzeug sackte auf einer Seite im gleichen Moment zusammen. Alle aussteigen! (Es war nur die Luftfederung explodiert...). Rückfahrt vom Reg.-Viertel: Denkste (wegen einer Demo fuhr 1 Std. lang kein einziger Bus). Morgen ist der Marathon-Lauf, was da noch alles passieren kann? Samstag-Abend: Die Spannung ist einigen TeilnehmerInnen doch anzumerken. Ich kenne ja den Trainingsstand der einzelnen und denke, dass alle es schaffen. Aber wie ist es mit mir, wann meldet sich der Meniskusschaden - früher oder später auf jeden Fall- aber wann?

Sonntag aufgestanden, mitten in der Nacht. Die Nervosität brennt in der Luft. Angst?, frage ich mich. Nee, sage ich mir selbstbewusst, aber "Schiss" habe ich. Zum Glück ist die Zeit verdammt knapp. Bloß nix vergessen. Tapen, Brustwarzenpflaster, Vaseline, Ersatzpflaster, Geld für´s Taxi ("spinnst Du", frage ich mich. Habe aber doch Geld mitgenommen), Fotoapparat, Ersatzfilm, Getränkegurt, Taschentücher usw. Es bleibt nach dem kurzen Frühstück kaum Zeit zum nachdenken. Auf Umwegen gehen wir zum Zielbereich. Was wollen die alle hier? Millionen LäuferInnen. Wir stehen nun wirklich am Start, bin ich wirklich hier? Muß ich jetzt wirklich 42 km laufen, habe ich genug trainiert, bin ich fit, wann meldet sich das linke Knie, was ist wenn ich....., es wurde plötzlich stockdunkel (Kleidungsstücke haben mich getroffen, weil ich am Rand stand.) Wir sind nur 20 m von der Olympiasieger entfernt (beim Zieleinlauf werde ich wohl ein paar Meter weiter entfernt sein, dachte ich mir ....

Der Marathon:

Wir stehen alle schön zusammen, die Spannung steigt und los geht`s. Jetzt gibt es kein zurück mehr . Ich bin irgendwie erleichtert, die Angst ist verflogen. Ich hatte mir wegen der Knieprobleme fest vorgenommen: langsam laufen! Meine vertrauten Lauffreunde/Innen musste ich laufen lassen. Schon nach ein paar hundert Metern waren sie alle weit vor mir und tauchten in der unglaublichen Menschenmasse unter. Ich lief schön rechts. Mich überholten Millionen LäuferInnen. Ich drehte mich immer wieder um, eigentlich müssten mich doch jetzt alle überholt haben, aber nein: die machen einfach weiter (ich machte mir selber Mut: die hol ich alle wieder ein!) Bis zum km 12 ging das so. Und dann wurde es ruhiger bei uns hinten. Hier waren die schwächeren LäuferInnen nun unter sich. Endlich! Und ich überholte auch einige, gibt`s doch gar nicht (Geduld zahlt sich aus). Du musst viel trinken, wurde uns immer wieder gesagt. Das habe ich auch getan- immer und immer wieder. Ich muß es mit dem trinken wohl übertrieben haben, ich musste dauern "müssen", das war unangenehm. Am 3. oder 4. Getränkestand hatte ich die Lacher auf meiner Seite: Ich stand in Bergen von Plastikbechern, trank meine 2 Becher aus und fragte das Standpersonal, wo ich denn meine Becher entsorgen könne?

Ach ja, ich wollte ja noch ein paar Fotos unterwegs machen (Beweissicherung). Ich ließ mich mit einer hübschen Polizistin fotografieren,
dann auf dem Massagebett (2 Masseurinnen machten mich gerade wieder fit für die nächsten 5 km),
dann ein paar Sehenswürdigkeiten, ruckzuck war der Film voll.

Die Zuschauer, die vielen Musikgruppen, kleine Kinder, die einem die Hände zum "Abklatschen" entgegenhielten, aufmunternde Worte von MitläuferInnen, und WalkerInnen aus Holzhausen (die ich schon mehrmals überholte), aber auch tröstende und mutmachende Worte an LäuferInnen, die am Limit waren, das alles ist auf meiner " Festplatte" eingebrannt.
Beim Training dachte ich manchmal, warum machst Du das alles? Aaber beim Marathonlauf gab es diesen Gedanken nicht. Zu viele Eindrücke (wenn man langsamer läuft, bekommt man viel mehr mit) sind zu verarbeiten und lenken einen auch ab von den Strapazen. Streckenweise musste ich leider humpeln, was soll`s, es geht noch.
Die Stunden sind vergangen, die Olympia-Siegerin ist bestimmt Weltrekordlerin geworden und bereits in Japan und ich laufe immer noch. Viereinhalb Stunden laufe ich schon. Meine Karstadt-Adidas-LTB-LäuferInnen sind schon längst im Hotel. Das Laufen wird immer mühsamer. Sollte ich vielleicht ein Stück gehen? Was sollen die Leute denken? Mehrmals bin ich mit dem Becher in der Hand ein Stück gegangen mit vielen anderen. Aber die Zeit drängte und ich dachte an die Litfaß-Säule im Dortmunder Karstadt-Sporthaus: Von den im Jahre 2000 "gesponserten Marathon-Anfängern" sind alle angekommen. Ich wusste, dass ich aufgrund meiner Knieprobleme eine "Schwachstelle" in der Gruppe sein könnte.....Km 32, km 38, über 5 Std. unterwegs und so einen Hunger auf eine Bratwurst. Es ist nicht mehr weit und ich werde es irgendwie schaffen....

Ich renne wie eine Schnecke um eine Kurve, als ich meinen Namen höre. Drei Lauffreunde saßen an der Strecke und hatten es sich gemütlich gemacht (Essen und Trinken). Die überschwängliche Reaktion von Ralf, Dieter und Werner zeigte mir, dass sie sehr erleichtert waren, mich l a u f e n d zu sehen. Werner gab mir seine Bratwurst, die ich im Weiterlaufen genoß. (Man muß nur richtig an etwas glauben, dann kommt auch `ne Wurst....). Jetzt ist es nicht mehr weit. Unglaublich, noch immer waren sehr viele Zuschauer da und feuerten uns an. Das gibt es doch nicht! Werner, Dieter und Ralf sind plötzlich neben mir auf der Highspeed-Strecke. In Zivil mit Jacke und Tasche haben die 3 Lauffreunde mich eingeholt und versprochen, dass sie mich bis zum Ziel begleiten wollen. "Du schaffst es", wir begeleiten Dich. Ich konnte es gar nicht fassen, erst wird der "Traum von der Bratwurst "wahr und dann begleiten mich die Drei auf den letzten Kilometer und passen auf, dass ich nicht doch noch schlapp mache.Meine 3 neuen Begleiter haben mich richtig in die "Zange genommen", wie Bodyguards. An der Reaktion der Zuschauer konnte man wirklich glauben, dass sie den kleinen Läufer in der Mitte für eine "wichtige Persönlichkeit" hielten. Welch ein Spaß!

Über 4 km sind Werner, Ralf und Dieter in Zivilsachen mit mir gelaufen und haben mir immer wieder Mut zugesprochen, 50m vor dem Ziel sind sie ausgeschert, die Zuschauer jubelten und ich bin ins Ziel gekommen. Ich drehte mich um, die 3 waren nicht mehr zu sehen. Ist diese Geschichte wahr? Ja, denn Dieter, Werner und Ralf und einige tausend Zuschauer können das bestätigen.

Ich teile meine Medaille mit Euch !

Einmalig schöne Erlebnisse vergißt man nicht. Mein 1. Marathon am 30. September 2001 mit seinen vielen positiven Eindrücken lässt alle Strapazen vergessen.
Herzlichen Dank an Dieter Stevens und Ralf Konfert vom Karstadt - Sporthaus in Dortmund und an Adidas (Ausrüster) für die großartige Untertützung. Das Training durch den Lauftreff Bittermark hat alles aber erst möglich gemacht.( Nur Laufen musste man noch selbst).

Einen schönen Nebeneffekt hat das Laufen auch noch: Man lernt viele nette Leute kennen und gewinnt neue Freunde, die nicht nur nach der Zeit fragen, übrigens 5:38:11)

In diesem Sinne

Euer Arnold Pankratow aus Bochum-Werne