01.10.2000 Köln Marathon - Beate May

Abenteuer Marathon
oder
Am Tag als der Regen kam

Es ist Montag, 02.10.2000, 2.18 Uhr.
Die Welt ist einfach komisch, man freut sich nach 42,195 gelaufenen Kilometern auf nichts anderes als auf sein eigenes Bett, und dann das....eine schlaflose Nacht, schmerzende Beine und Gedanken, Gedanken, Gedanken und, wie könnte es anders sein, ein knurrender Magen. Irgendwann ist man schließlich hellwach. Ich ziehe mir also meinen Bademantel über und mache mich auf dem Weg in meine Küche. Um dorthin zu gelangen muß ich allerdings 10 Treppenstufen herabsteigen. Mir bleibt auch nichts erspart. In der Küche angekommen, bereite ich mir ein Nutella-Brot zu und während der Pfefferminztee noch zieht, schalte ich meinen PC ein, um einige Einzelheiten des gestrigen Köln-Marathons festzuhalten. An Schlaf ist bei mir momentan sowieso nicht zu denken. So etwas ist mir bisher auch noch nicht passiert. Aber jeder Marathon ist anders. Also fange ich an zu schreiben und zwar gnadenlos ehrlich:
Der gestrige Tag wird sicherlich noch lange in unserer Erinnerung bleiben, denn solch schlechte Startbedingungen habe ich in der Vergangenheit nicht erlebt. Es war ein Alptraum. Mein Wecker klingelte um 6.00 Uhr. Eigentlich total unnötig, denn der prasselnde Regen auf meinem Dachfenster machte mich schon lange vorher wach. "Ergste ist nicht Köln" dachte ich bei mir. Immerhin liegen ca. 100 km Wegstrecke vor uns. Wenn Engel reisen ..., oder wie lautet der Spruch? Zu diesem Zeitpunkt wollte ich mich durch etwas Regen nicht in Unruhe versetzen lassen und machte mich nach dem Frühstück mit gepackter Sporttasche noch relativ gut gelaunt auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Der Bus sollte um 8.00 Uhr abfahren; gestartet wird um 11.30 Uhr. Bis dahin kann sich einiges bewegen. (Es bewegte sich natürlich nichts, bis auf die Scheibenwischer meines Autos und die des Busses. Die schafften die Wassermassen gerade so bei höchster Stufe). Die Freude, meine Mitläufer zu sehen war riesig groß. Schließlich haben wir so toll zusammen trainiert, da lassen wir uns natürlich nicht unterkriegen. Monika Muschallik hatte sich extra früh morgens auf den Weg nach Dortmund gemacht, Sie versorgte uns ganz liebevoll mit Proviant und schickte uns mit den besten Wünschen Richtung Köln auf die Reise. Sie hatte es gut. Schließlich hatte Monika den Berlin-Marathon 2000 bereits in der Tasche! Nachdem das Gepäck und sämtliche Eigenverpflegung in Form von Mineralwasser und natürlich Bier (Gruß an Uwe K. und vielen Dank an Ralf Ermler !!!!) verstaut war und alle Läufer sowie Schlachten-Bummler ihren Platz gefunden hatten, machte sich der Bus Richtung Autobahn auf den Weg.

Der Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe. Irgendwann mußte es doch ein wenig freundlicher werden. Ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht so richtig erklären, wo denn das ganze Wasser herkam. Was haben wir nur verbroch? Die Fahrt sollte unter normalen Umständen ca. 1 ½ Stunden dauern. Unser Busfahrer schaffte das aufgrund seines weltbewegenden Fahrstils in einer guten Stunde. Das bedeutete etwa gegen. 9.30 Uhr waren wir vor Ort. Da die Startzeit für 11.30 Uhr angesetzt war, galt es ca. 2 Stunden Wartezeit zu überbrücken. Erst einmal mußten wir Familie Noffke treffen. Horst und Margarete die mit ihrem Wohnmobil bereits am Samstag anreisten haben sich bereit erklärt, für die LT-Bittermark-Läufer die Startunterlagen abzuholen. An dieser Stelle ebenfalls ein riesiges Dankeschön für diese Unterstützung. Die Unterlagen wurden im Bus verteilt. Jeder war nun erst einmal damit beschäftigt, seine Dinge zu sortieren. War die Chip-Nummer richtig zugeordnet? Das war leider ein Problem, welches der Veranstalter nicht richtig in den Griff bekam. Unsere Anmeldebestätigung kam erst recht spät auf dem Postwege bei Rainer Henkel an und leider mußten diverse Änderungen vor allem der Läufer, die einen eigenen Chip benutzten, per Telefon oder per Fax an das Kölner Veranstaltungsbüro aufgegeben worden. Mit diesen Schwierigkeiten hatten nicht nur die Dortmunder Läufer zu kämpfen. Ich habe von mehreren Seiten erfahren, daß das Organisationsteam in dieser Beziehung überlastet war. Somit war natürlich die große Frage, ob alle Änderungen auch ordnungsgemäß verarbeitet wurden. Aber glücklicherweise ergaben sich hier keine Probleme

Der Bus glich einem Ameisenhaufen!! Selbst derjenige, der zum jetzigen Zeitpunkt noch relativ ruhig war, wurde durch dieses hektische Hin und Her ebenfalls nervös. Einige bissen nochmals herzhaft in ein Butterbrot, andere packten wie wild ihre Kleiderbeutel ein und auch wieder aus. Immer der Meinung, etwas weltbewegendes vergessen zu haben. Es wurde kräftig mit Vaseline geschmiert und die Startnummern mußten ebenfalls noch angeheftet werden. Letztendlich die große Diskussion, ob man die geeigneten Laufsachen angezogen hatte. Es schüttete natürlich immer noch wie aus Kübeln.

Gegen ca. 10.30 verließen wir, alle modisch in Müllbeutel gekleidet, den Bus und machten uns Richtung Start auf den Weg. Es wurde vom Veranstalter ein Pendeldienst angeboten, so konnte man sich noch vor diesem grausamen Regen schützen. Doch die Fahrt zum Startbereich dauerte nur wenige Minuten, dann mußten alle unweigerlich aussteigen. Zuerst machten wir uns auf den Weg, um unsere Kleiderbeutel abzugeben. Wir quälten uns durch die riesige Menschenmenge und benutzen eine Abkürzung durch ein Matschloch (ich glaube das muß irgendwann einmal eine Rasenfläche gewesen sein). Dieser 'Rasen' war inzwischen so durchgeweicht, daß er einem Kartoffelacker glich. Michael Lorff und Stefan Kellner stöhnten über ihre noch gestern so schön sauberen Schuhe und versuchten uns, wie immer mit einem kecken Grinsen im Gesicht und einem flotten Spruch auf den Lippen, aufzuheitern. (hoffentlich bleiben uns die beiden als Mitläufer mit ihrer humorvollen Art noch recht lange erhalten! Auch ihnen an dieser Stelle ein riesiges Dankeschön). Man mußte gegen den aufsteigenden Frust wirklich mit Gewalt ankämpfen, denn irgendwann machten sich Kälte und Nässe doch bemerkbar. Mit einer Gruppe von ca. 5 - 8 Bittermark-Läufern suchten wir uns im Startbereich einen Plätzchen. Die Zeit verging recht schleppend. Meine Uhr zeigte 11.20 Uhr. Na also, dachte ich für mich, es ist absehbar und dann kommst du endlich zum laufen. Aber ich sollte mich täuschen. Es verging noch eine geschlagene halbe Stunde, bis wir uns in Bewegung setzen konnte. Zeitweise hörte der kräftige Regen auf. Sollte sich das Wetter doch etwas bessern? Um 11.40 Uhr ging es endlich los. Schleppend verließ die Masse der Läufer den Startbereich. Bei den ersten Schritten horchte noch jeder angespannt in sich hinein. Wie fühlte man sich, zwickte es irgendwo und wie ließ es sich mit den nassen Schuhen laufen. Wer bis jetzt noch einigermaßen trockene Schuhe hatte, mußte höllisch aufpassen, nicht in die riesigen Pfützen zu treten, und somit ebenfalls seine Laufschuhe zu fluten.
Oder, das Spritzwasser derjenigen Läufer, die irgendeine Wasserlache mit voller Wucht erwischten, tat sein übriges. Meine Schuhe waren nach dieser dummen Warterei auf den ersten 100 m ebenfalls naß. Na, das konnte ja heiter werden. Wir liefen an Heinz und Ulla vorbei, die sich am Rand mit der riesigen LT-Bittermark-Fahne plazierten, winkten nochmals herüber und waren dann endlich auf der Strecke. Jeder von uns versuchte sein eigenes Tempo zu finden. Daher verlor sich unsere Gruppe nach einiger Zeit. Ich lief mit Manuela ein gleichmäßigen ruhigen Schritt. Wir haben uns nicht irritieren lassen. Immer die guten Ratschläge der Laufkollegen im Ohr, absolvierten wir die ersten 10 km im 6er Schnitt. Gute 10 km benötigte man allerdings auch, um seinen Rhythmus zu finden. Ich muß sagen, die riesige Zuschauermenge die sich trotz des wieder einsetzenden Regens an den Straßenrändern positionierte war enorm. Das ist Köln! Endlich ließ auch diese elende Anspannung nach. Irgendwann hörte ich vom Straßenrand eine mir bekannte Stimme. Ich schaute mich um und erkannte Gerd und Gudrun Schmidt. Ebenfalls an Euch ein herzliches Dankeschön. Ihr wißt ja nicht wie gut es tut, in einer solchen Situation von lieben Läuferfreunden unterstützt zu werden. Zu gerne würde ich mich bei Euch im November revanchieren. Aber New York ist für einen Sonntagsausflug ein wenig weit. Immer wieder blickten wir zur Uhr und nahmen unsere Zwischenzeiten. Wenn alles so weiterging, konnten wir gut zufrieden sein. Manuela suchte den Straßenrand nach ihrer Familie ab. Bisher war noch niemand zu sehen, aber wir hatten ja noch einige Kilometer vor uns. Bei Kilometer 15 trat dann genau das ein, was ich die ganze Zeit befürchtete. Bei mir machte sich der erste Hunger bemerkbar (kein Wunder, es roch an vielen Ecken nach Bratwürstchen und anderen Leckereien). Das Frühstück lag nun auch schon ein paar Stunden zurück und aufgrund der ganzen Aufregung konnte man vor dem Start soviel ja nun auch nicht mehr essen. An den Verpflegungsstellen suchte ich immer wieder nach Bananen oder Äpfeln. Anscheinend war das jedoch vor km 20 nicht vorgesehen. So ein Pech. Zum Glück erspähte ich hinter der nächsten Kurve wieder unsere beiden Fahnenträger Ulla und Heinz. Kurzum überlegte ich was ich tun sollte, daher blieb ich entschlossen stehen und fragte die beiden, ob nicht irgend etwas Süßes greifbar sei. Ulla zückte eine Dose aus ihrem Rucksack und schickte mich mit zwei Apfelstücken bewaffnet wieder auf die Laufstrecke. Die guten Dienste unserer Schlachtenbummler sind also mit Worten gar nicht zu beschreiben. Etwa zwischen Kilometer 17 und 20 verlor ich dann meine Mitläuferin Manuela. Auch das noch ! Ich hoffe sie wird es mir verzeihen. Entweder war es ein unachtsamer Moment oder ich zog das Tempo etwas an. Auf jeden Fall habe ich sie in der Menschenmenge nicht mehr wiedergefunden. So kam es, daß ich die zweite Hälfte dieses Laufes alleine abarbeiten mußte.

Zur Halbmarathondistanz fühlte ich mich erstaunlich gut. Der Regen machte mir nichts mehr aus. Ich dachte an unsere langen Trainingsläufe zurück. Die restlichen Läufer unserer Trainingsgruppe wollten sich am heutigen Sonntag zum Schlösserlauf in Wischlingen treffen. Sicherlich sind sie auch ordentlich naß geworden. Meine Mitläufer fehlten mir. Ich hätte jetzt gut ein Schwätzchen vertragen können. Aber Training ist Training und Wettkampf ist Wettkampf. Es ist echt unbeschreiblich, welche Gedanken einem auf 42,195 Kilometer durch den Kopf geistern. Diese Grübelei lenkte mich aber erstaunlich gut ab und man konzentriert sich nicht nur auf die noch zu absolvierende Distanz. Immer wieder versuchte ich unter den blauen Trikots einen Läufer des LT-Bittermark auszumachen. Doch leider vergebens. Mittlerweile erreichte ich Kilometer 32. Urplötzlich sprach mich von hinten jemand an. "Hallo! Ich soll Dir unbekannterweise viele Grüße von Kerstin und Manni bestellen." Soeben überholte mich der Bruder von Kerstin. Ich winkte ihm zu und schon war er in der Menge wieder untergetaucht.

Kilometer 35 stand auf einem der nächsten Schilder. Ich horchte in mich hinein. Die Beine wurden jetzt doch langsam schwer. Hier und da zwickte es zwar an diversen Körperstellen. Wahrscheinlich durch das nasse Trikot wundgescheuert dachte ich und einige Blasen an den Füßen meldeten sich ebenfalls. "Einfach ignorieren" sagte ich mir. Wir lassen uns nicht unterkriegen. Man weiß ja, daß ab 35 das Vergnügen vorbei ist. Jetzt ist kämpfen angesagt. Km 36 und 37 wurden erreicht. Bei mir machte sich das Gefühl breit, die Strecke nur noch in Zeitlupentempo zurückzulegen. Bei 39 traf ich wieder auf Gerd und Gudrun. Die beiden sind Spitze. Sie hatten doch tatsächlich trotz des schlechten Wetters an der Laufstrecke ausgeharrt ! Ich zog meine Mütze noch etwas tiefer damit mein 'angespannter' Gesichtsausdruck nicht sofort für jeden deutlich sichtbar wurde. Gudrun bestätigte mir später, daß ich zu dieser Zeit nicht mehr unbedingt frisch ausgesehen hätte. Der Streckenverlauf ging auf den letzten Kilometern durch die Kölner Innenstadt. Karnevalsatmosphäre breitete sich aus. Ich muß sagen, so sehr die Beine auch schmerzten, diese euphorische Stimmung der Zuschauer tat wirklich gut. Außerdem stellte ich fest, daß ich nicht die einzige Läuferin war, die mit den restlichen Metern zu kämpfen hatte. Endlich erreichten ich die Kölner Fußgängerzone."Nur noch 1000 Meter, dann hast Du es geschafft" rief mir jemand vom Straßenrand zu. Ich biß noch einmal fest entschlossen die Zähne zusammen und schaute auf meine Uhr. Ach was soll dieses Minutenzählen! Wichtig ist, daß du diese verdammte Ziellinie überquerst. Und endlich hatte ich den Domplatz erreicht. Hier kochte die Stimmung über. Noch ca. 100 Meter. Ich konnte das Piepen der Zeitnahme schon deutlich hören und dann hatte auch ich es endlich geschafft! Ich war überaus glücklich. Sofort reichte mir jemand eine Folie mit der man sich vor der Kälte schützen konnte. Langsam schlenderte ich aus diesem Hexenkessel in Richtung Verpflegungsstelle. Und das beste: An unserem vereinbarten Treffpunkt prangte schon die blaue Fahne des LT-Bittermark! Das heißt Ulla, Heinz sowie die anderen Marathonis unserer Gruppe warteten schon. So zügig wie es noch ging machte ich mich nun auf den Weg zur erwähnten Verpflegung. Wie üblich knurrte mein Magen (nach 42km ist das schließlich auch erlaubt).

In einer abseits gelegenen Straße konnte man sich nun endlich einmal in Ruhe einen kräftigen Schluck Saft, Cola oder wer mochte ein Kölsch gönnen. Kistenweise standen Schokoladenriegel zur Verfügung und auch der Anblick der Berliner Ballen ließ mein Herz überquellen. Zu einem späteren Zeitpunkt habe ich erfahren, daß die Meinungen bzgl. der Berliner recht unterschiedlich waren. Egal, mir haben sie geschmeckt. Zwischen Kuchen und Apfelsaft traf ich dann auch Margarete Noffke und Michael Lorff. Beide machten zufriedene Gesichter und waren bereits umgezogen. Nachdem mein Hunger gestillt war, machte ich mich auf dem Weg, um meinen Kleiderbeutel abzuholen. Ich mußte meine nassen Sachen ebenfalls loswerden denn die Gefahr einer Erkältung war zu groß. Die Straße glich einer riesigen Umkleidekabine. Letztendlich war das völlig egal, jeder wollte nur seine warmen trockenen Sachen anziehen. Ich spürte, daß meine Lebensgeister langsam zurückkehrten. Nochmals griff ich in den riesigen Karton Schokoriegel und machte mich auf den Weg, mein Einheit zu suchen. Ich schaute an mir herunter. Erst jetzt bemerkte ich, daß an meinem Schuh immer noch der gelben Chip befestigt war. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dieses Ding so schnell wie möglich zurückzugeben um nicht wieder dieser magischen "Marathonanziehungskraft" ausgesetzt zu sein. Aber irgendwie habe ich das dann völlig vergessen. Schade eigentlich. Aber vor Rom kann sich wohl keiner so schnell drücken, denn die Ausrede keinen Chip zu haben zählt nicht...

... mittlerweile sind fast zwei Stunden vergangen. Meine Uhr zeigt halb fünf! Das Nutella-Brot hat köstlich geschmeckt nur der Tee ist etwas kalt geworden. Meine Augen sind nun genauso schwer wie meine Beine nach einem gelaufenen Marathon. Deshalb schleppe ich mich wieder diese verdammten 10 Stufen in mein Schlafzimmer hinauf. Ich schmunzel vor mich hin. Es ist wirklich komisch, denn ich freue mich schon auf den nächsten .....? Ist doch klar, gemeint sein kann nur der Rom-Marathon in 2001.
Ist doch gut, daß ich meinen Chip behalten habe!

Beate May