10.04.2000 - Paris Marathon - Michaela Neuhaus
ACHTUNG! An alle Ehefrauen, Ehemänner, Kinder, Enkel und Haustiere. Wenn ihr Eure laufenden Männer, Frauen, Eltern, Großeltern und Herrchen in Zukunft wieder häufiger zu Gesicht bekommen wollt und sie nicht wieder Wochenende um Wochenende morgens um 7:00 Uhr mit den Worten verabschieden wollt: "Tschüsschen dann, bis heute (Nach-)Mittag", so haltet sie fern von jeglichen Messeständen mit Prospekten bzw. Ausschreibungen anderer Läufe. Denn kaum hat der Blick des Läufers dieses Prospekt erfasst und er liest, z.B., Paris-Marathon 2000, so steht eines fest: Es gibt kein Zurück mehr. Das "Ding" ist so gut wie sicher gebucht und gelaufen.
Nur - alleine macht´s nicht so viel Spaß, weder das Training, noch der Lauf an
sich und natürlich auch nicht die Fahrt. Was tun? Nun, man wartet den Tag für
einen gemütlichen Gruppenlauf ab, streift sich aus dem Souvenirfundus der
letztjährigen Städtetouren ein T-Shirt mit dem Eiffelturm über, begrüßt die
Freunde am Treffpunkt mit einem fröhlichen "Bonjour", tänzelt ein
wenig mit dem flatternden T-Shirt vor ihren Nasen herum, bemerkt die
neugierigen Blicke auf die Shirt-Aufschrift und nutzt dann die Gunst der
Stunde. Man fragt so neutral wie möglich, jedoch mit glänzenden Augen und
entsprechender Gesichtsmimik: "Paris-Marathon. Schon mal daran gedacht,
den zu laufen?!" Die Reaktion reicht von "Hm, ja..." über
"Nun,...." bis hin zu "Tja,...". Trotzdem lässt man sich
nicht davon abhalten, nach jeder gelaufenen Parkrunde das Stichwort ´Paris
2000´ fallen zu lassen. Das Ergebnis: Immerhin 2 von 10 LäuferInnen erkundigen
sich schon mal nach Infomaterial (sprich Prospekte). Nun ist man schon zu dritt
und der nächste Trainingslauf ist schon übermorgen. Die Werbekampagne kann also
weiter gehen.Von Anfang an nie an der Reiselust und der Lauffreude der Gruppe
zweifelnd, steht man dann tatsächlich am 8.04.2000 um 4:50 Uhr
("Gähn") am Bahnhof und sucht gemeinsam das Gleis mit dem Zug nach
Köln. Von dort aus sollte es weiter gehen nach Paris - und ging es tatsächlich.
Die Gruppe - bestehend aus (unserer Reiseleiterin) Marie-Antoinette Hirschmann,
Elisabeth Windels, Beate May, Klaus-Peter Weinbörner, Brigitte und Burkhard
Fisahn, Ingrid und Jürgen Lauricks, Reiner und Ursula Henkel, Uwe und Angela
Klehr, Matthias Reusch und meiner Wenigkeit - war von Anfang an guter Dinge und
guter Laune. Kaum im Zugabteil fielen schon die ersten Anekdoten über die
Baumannsche Zahnpastawirkung und Läuferwitze, die mit lautem Gelächter
kommentiert wurden. Da weit und breit keine weiteren Zuggäste zu sehen waren, brauchte
man ob der Lautstärke kein schlechtes Gewissen zu haben. Ruhe kehrte ein bis zu
dem Zeitpunkt, als jemand beim Aufschlagen der Tageszeitung verhalten
aufschrie: "Verflixt, Wetterprognose für Paris: 10° C und Schauer. Und ich
hab nur Kurz mitgenommen. Mist!" Als Beruhigung kam: "Ich auch".
Das tröstete.
Nach insgesamt 5 ½ Stunden Zugfahrt hieß es "Endstation Gare du Nord". Ohne weitere Zwischenfälle. Bis auf einen: Habt Ihr schon mal am eigenen Leib erfahren, wie kurz 5 Minuten sein können? Und zwar dann, wenn man diese für das Umsteigen in den weiterführenden Zug nutzen soll? Wir schon. In Köln. Beim Umsteigen vom letzten Wagen des "alten" Zuges in den ersten Wagen des "neuen" Zuges. Und die Züge waren ja sooo lang, sie nahmen überhaupt kein Ende. All diejenigen, die mit ihrem immer schwerer werdenden Gepäck zu kämpfen hatten, weil sie nicht im Besitz eines rollenden Koffers waren, hörten schon in panikähnlicher Vorausschau die Signaltöne für das Schließen der Türe und sahen sich erschöpft auf ihrem Koffer sitzend hinter dem Thalys und den Freunden her winken. Doch es kam anders, alle stiegen am Gare du Nord in Paris aus.
Von dort aus ging es dann zusammen mit einigen
erfolglosen Taschendieben per Metro ins Hotel. Einchecken, austreten, umziehen
und ab zur Messe. Unsere Startnummern warteten schon auf uns. Dort angekommen
begutachteten wir mit unseren kritischen und analysierenden Läuferaugen das
Höhenprofil der Strecke: Von Kilometer 18 bis 26 zeigte es fallende Tendenz
(Juhuh!), jedoch sollte es ab Kilometer 32 gelegentlich bergauf gehen.
Ausgerechnet dann, wenn der Vorrat an Körnern gegen Null tendiert und man auf
Reserve läuft!
Doch plötzlich tauchte eine viel wichtigere Frage auf: Wo war Klaus-Peter? Doch
nicht etwa an einem der zahlreichen Messeständen mit Prospekten? Hat denn schon
wieder keiner auf ihn aufgepasst?! Ach, wäre doch seine Frau mit gefahren. Die
hätte ihn sicherlich geschickt an all den vielen Versuchungen vorbei gen
Ausgang geleitet. Wohin mag die nächste Reise jetzt wohl gehen...?
Paris, 8. April, 15:00 Uhr, 18° C: Sonne am Himmel (hatte nicht irgendwer 10° C und Schauer angedroht?), Unterlagen in der Hand, Tape im Gepäck, Lachen auf´m Gesicht, gute Laune im Rucksack - was will man mehr?! "Kaffee trinken", fasste sich Reiner kurz, "kommt zum Montmartre und zur Sacre Coeur!" Alle folgten dem Trainingsleiter, nur Ingrid, Elisabeth und Jürgen nicht. Die wollten auf der Messe noch weiter Geld gegen Ware tauschen. Nach einem wunderschönen, ruhigen Bummel durch zahlreiche Gässchen und zig geschossenen Fotos mahnte Burkhard zum Aufbruch Richtung Hotel (Ruhe schöpfen, Kraft tanken, Karten schreiben). Einen schönen Abschluss fand dieser erste Tag in einer schnuckligen Pizzeria mit Pasta, Wein und Pizza.
Marathontag. Auf dem Weg zum Arc de Triomphe, unserem Start und Zielort, war die Stimmung ein wenig verhaltener als am Vortag (oder täuschte ich mich). Von Ruhe in der Metro jedoch keine Spur. Sogar Beate konnte sich von einer gewissen Aufregung nicht freisprechen. Die Schuldigen sah sie in uns! Mein Gott, ihr steckt mich alle an. Hört schon auf! Gehör fand sie nicht.
8:45
Uhr. Wir inmitten von weiteren 31.276 Läufern. Diese - ebenfalls mit einem
Müllbeutel modisch gekleidet - schauten wie wir alle 10 Sekunden nervös auf ihre
Uhr. Eine Mikrofonstimme begrüßte uns mit überschwenglicher Freude und
gratulierte uns zur Teilnahme an diesem Rekordlauf.
Noch 5 Minuten. Langsam galt es,
"Abschied" zu nehmen. Jeder nahm jeden aus seiner direkten
Nachbarschaft in den Arm, wünschte alles Gute und sagte: "Toi, toi,
toi" und "Denkt an das Essen heute Abend!" Das half. Ruhe kehrte
ein.
8:58
Uhr. Abgestreifte Müllbeutel und Sweat-Shirts jeglichen Couleurs schmiss man
zur Straßenseite. Einige verhungerten während ihrer Flugkurve und landeten vor
des Läufers Schuhen. Da dies sehr häufig passierte (bei diesem Teilnehmerfeld)
galt es hier beim Startschuss aufzupassen, dass man nicht schon vor
Überschreiten der Startlinie gefährlich stolpert und den Sanitäter aufsuchen
muss.
9:00 Uhr. Der Startschuss war deutlich zu hören, doch es tat sich sekundenlang
nichts. Kein Vor, kein Zurück. Eine Minute verging, die zweite folgte.
9:04 Uhr. Endlich begann man zu gehen. Gaaanz langsam. Ein Nachbar
scherzte: "Dieses Tempo gefällt mir. So kann´s weiter gehen." Ging es
dann auch, bis zur Startlinie. Ab da hieß es "Farbe bekennen!"
Wie nun im Einzelnen jeder von uns den Lauf erlebt hat, kann man, zum einen, an
der Zeit ablesen, zum anderen, in einem persönlichen Gespräch erfahren. Hier
sei nur festgehalten, was alle gemeinsam erlebten:
Bzgl. der Zuschauer-Resonanz: Obwohl wir nicht
mit dem Fahrrad unterwegs waren (der Velosport erfreut sich in Frankreich doch
der Beliebtheit), sondern lediglich ´per pedes´, gab es keinen
Streckenabschnitt, an dem kein anfeuernder, zujubelnder, applaudierender,
begeisternder Zuschauer stand. Danke!
Bzgl.
der Verpflegung: Alle 5 Kilometer gab es reichlich Verpflegung in Form von
Vittel-Wasser, Rosinen, Bananen, Würfelzucker und anderer Energiespender. Das
Angebot war o.k. Einziger Minuspunkt waren die 0,5-Liter-Flaschen. Es war nicht
nur häufig pure Verschwendung (ein Schluck daraus und dann weggeworfen),
sondern eine nicht zu unterschätzende Gefahr für nachkommende Läufer. Leicht
hätten sie über die weggeworfenen Flaschen stolpern, umknicken und sich
verletzen können (Hoffentlich widerfuhr das keinem).
Bzgl.
des Wetters: Das schöne sonnige Wetter vom Vortrag wiederholte sich nicht.
Kühler war es, trotzdem konnte man ohne Probleme in Kurz laufen (Glück gehabt).
Bzgl.
des Teilnehmerfeldes: Diejenigen, die antraten, um schnell und evtl. Bestzeit
zu laufen wurden aufgrund der Massen gebremst. Zumindest die ersten 10
Kilometer. Einige Stellen waren wahrlich nadelöhrmäßig schmal, so dass man
spätestens dort aus dem Tritt kam. (Schade auch). Ansonsten - inmitten so
vieler Läufer sicherlich für jeden ein Erlebnis.
Bzgl. der Sehenswürdigkeiten: Eiffelturm,
Notre Dame und vieles andere mehr. Doch ich gestehe: Genießen konnte ich es
nicht allzusehr. Ich dachte: ´Morgen biste ja auch noch da...´ (Dann
aber!)
Bzgl. der "Mauer". Bei Kilometer 37 erblickte man von weitem
einen Luftkissen-Bogen mit der Aufschrift (übersetzt): "Sie haben die
Mauer überschritten". Viele mögen dort gedacht haben: "Na, das wüsst´
ich aber.."
Bzgl.
des Zieleinlaufs: Der allerschönste Moment beim Laufen. Erschöpfung,
Erleichterung, Stolz, Glück - all diese Gefühle beschleichen einen (Möge es niemals
aufhören).
Großes Hallo am vereinbarten Treffpunkt. Egal mit welcher Zeit, egal mit
welchen Erfahrungen bei diesem Lauf - alle waren bis auf die Knochen glücklich.
Einfach nur glücklich. Als alle beisammen waren, schoss man Erinnerungsfotos
und ging dann langsam und ein wenig schleppenden Schrittes zur Metro-Station.
Die Stimmen wirkten nicht mehr so aufgeregt wie auf dem Hinweg. Doch etwas
konnte man bei allen heraushören: Zufriedenheit darüber, "es geschafft zu
haben". Für die Anstrengungen der vergangenen Trainingsmonate belohnt
worden zu sein, erreicht zu haben, was man sich als Ziel gesetzt hatte -
anzukommen. Das macht nicht nur zufrieden, sondern auf eine ganz besondere Art
und Weise auch stark.
Die erste Hälfte unserer Paris-Tour war somit
vorbei. Von nun an genoss man in vollen Zügen in der Gruppe den Stadtbummel,
das Schlendern durch die Straßen, das Naschen von Brioches, Muffins und Crêpes,
das Mittagessen mit der obligatorischen Zwiebelsuppe, das Bestaunen des
Eiffelturms, das Kaufen von Souvenirs für die "zurückgebliebenen"
Lieben und das Gemeinschaftsgefühl.
Nach 3 Tagen Aufenthalt in Paris konnte man
nicht nur den Metroplan viel schneller lesen und richtungsweisend umsetzen.
Diese wenigen Tage bewirkten auch, dass von dem einen oder anderen ein leiser
Seufzer zu hören war. Irgendwer unternahm sogar einen Boykott-Versuch. Mit
Schmollmine war zu hören: "Will noch nicht fahren, zumindest jetzt noch
nicht!" Er wurde mit der Gruppen-Bahnfahrkarte schnell überzeugt, die ihm
Ingrid demonstrativ und mit einem Lächeln vor die Nase hielt. Dort stand
geschrieben: Paris-Köln, 10.04.2000, Abfahrt 18:55 Uhr. Also Abmarsch!
Der krönende Abschluss ereilte uns nach der
Ankunft um 00:25 Uhr in Dortmund. Es geschah beim Verabschieden. Ehe wir uns
versahen trat Klaus-Peter 3-4 Schritte zur Seite, rief "Moment noch!"
und zog aus seiner Jackentasche ein buntes, ca. 7 Gramm schweres Etwas mit den
Formatgrößen 30cmx25cm. Und was war dieses Etwas? Zu erkennen waren die Großbuchstaben
R, O, M. Es machte Klick! Bei allen. Es war das Infomaterial für den Marathon
in ROM nächstes Jahr am 25. März. Gebont, gebucht und fast schon gelaufen. - Zu
Hause angekommen fiel während des Erzählens so ganz nebenbei: "Ach, hör´
mal Schatz. Haben wir nächstes Jahr im März schon iiiirgendetwas geplant ....
?!"
Michaela Neuhaus